Die Rede vom »unverdienten Sieg« ist nicht neu. Ungewöhnlich ist, daß ein Trainer damit die eigene Mannschaft meint. So geschehen nach dem Bundesliga-Spiel Karlsruher SC gegen Arminia Bielefeld, als Arminen-Trainer Michael Frontzeck den Reportern in die Blöcke diktierte, seine Mannschaft habe wohl »unverdient gewonnen«, müsse sich dafür aber »nicht entschuldigen«.
Richtig ist der zweite Teil der Analyse. Niemand sollte sich dafür entschuldigen müssen, gewonnen zu haben. Auch nicht bei unverdienten Siegen? Auch dann nicht. Grund: Es gibt keine unverdienten Siege. In der an kuriosen Floskeln nicht eben armen Fußball-Welt ist der unverdiente Sieg vielleicht die kurioseste, gern und oft sprachlich variiert als »bessere Mannschaft, die verloren« habe.
Ein Spiel – und gerade Floskelfreunde sollten das wissen – dauert 90 Minuten; und manchmal noch ein bißchen länger. Haben Sie schon einmal 90 Minuten in einem tristen Wartezimmer gesessen? Oder anderthalb Stunden lang eine volle 2-Liter-Flasche am ausgestreckten Arm gehalten? Wer es in 90 langen Minuten nicht schafft – gegen das hinterher dann als schlechtere Mannschaft deklarierte Team – ein Tor zu schießen, der kann sehr vieles gewesen sein: engagierter, zweikampfstärker, spielfreudiger. Lauffreudiger. Paßsicherer. Er kann im Grunde alles gewesen sein, nur eines nicht: besser.Wenn man über Einzelaspekte wie Attraktivität, Kreativität oder Kampfgeist sprechen möchte, benenne man das und rede darüber. Wenn man wissen möchte, wer besser war, werfe man einen Blick auf die Anzeigetafel – statt ratlos in die Kameras zu gucken und ungute Floskeln zu erfinden.
Gewiß, gibt so Tage. Man spielt den Gegner schwindlig oder an die Wand oder beides, aber das Ding geht nicht rein. »Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.« (Andreas Brehme) Der Trick besteht allerdings darin, die Dinge dann nicht durcheinander zu bringen. Man war nicht eigentlich besser, hatte aber leider Scheiße am Fuß; sondern weil man Scheiße am Fuß hatte, war man heute eben mal nicht besser. Von zwanzig sensationell herausgespielten Chancen keine reinzumachen, ist: nicht gut. Wenn der Gegner dann aus einer durch einen sensationellen Fehlpass eingeleiteten Chance ein Tor macht, dann ist das: gut. (Im übrigen gehört es andersrum zum besser sein dazu, keine sensationellen Fehlpässe zu spielen.)
Man ist angetan vom ansehnlichen, beherzten Spiel und vergißt, daß nicht Kampfrichter das Spiel entscheiden, sondern Tore. Die, die man schießt, und die, die man nicht zuläßt. Liegt es an dem im Vergleich sehr viel ungünstigeren Verhältnis von Spieldauer und Zählbarem, daß sich die Wahrnehmung vom eigentlichen Ziel des Spiels auf die Mittel verschiebt? Keiner weiß es. In anderen Sportarten aber scheint der Blick aufs Geschehen weitaus klarer zu sein. In der Tennisszene ziemlich unbekannt ist der Satz: »Ein etwas unverdienter Sieg für Roger Federer; Djokovic war heute klar der bessere Spieler.« Ebenfalls sehr selten hörte man bisher auch den Zweitplatzierten nach Hundertmeter-Läufen sich beklagen, er sei der Bessere gewesen und hätte den Sieg verdient gehabt.
Zu wenig vergleichbar? Auch im Mannschaftssport Basketball ist die Floskel nicht sehr verwurzelt. Doch bleiben wir ruhig auf dem Fußballplatz: Man muß schon etwas länger suchen, bis man jemanden findet, der über einen unverdienten Torschützenkönig klagt und argumentiert, der Zweitplatzierte sei der eigentlich Bessere gewesen – hätte halt nur nicht so oft getroffen. Das wäre sehr albern. Weniger albern ist es, ganz einfach den Blick für das Entscheidende zu wahren.
Ein Plädoyer für kühlen Effizienzfußball? Ganz und gar nicht. Nicht zuletzt deshalb nicht, weil attraktives Spiel viel häufiger auch das bessere, erfolgreichere Spiel ist, als es das Klischee annimmt. Siehe Hoffenheim in der Hinrunde. Siehe Tabellenführer England. Siehe Tabellenführer Spanien.
Im ganzen: Michael Frontzeck kann sich entspannen. Seine Bielefelder waren am Wochenende durchaus nicht das Maß der Dinge in Sachen Offensivfeuerwerk und Torerfolg; die Karlsruher aber waren ganz offensichtlich noch schlechter. Mit welchem Kampfgeist und welch ansehnlicherem Spiel auch immer. Es stand auf der Anzeigetafel. Und diese steile These muß erlaubt sein: Wer schlechter war, war nicht besser. Wirklich nicht.
Wer es nicht schafft, zu gewinnen – der hat es auch nicht verdient.
(Langfassung eines Textes für die »11 Freunde«)