Erste Rohfassung, halb
Niemand mag es, wenn eigene Gedanken oder Ideen von anderen einfach übernommen werden. Auch Fotografen nicht. Vor allem Fotografen nicht.
I
Mannschaftssport, heißt es, fördere soziale Kompetenzen. Er helfe dabei, eigensinniges Verhalten abzubauen und diene der Erkenntnis, gemeinsam bessere Ergebnisse erzielen zu können. Irgendwann erkennt auch der dümmste Fußballer, daß er im Zusammenspiel mit seinen zehn Freunden wesentlich mehr gegen die anderen elf erreicht als alleine. Mannschaftssport wirkt egoistischem Benehmen entgegen.
Fotografie ist Einzelsport.
II
Ein Foto macht man in der Regel allein, und abgesehen von ein paar denkbaren Konstellationen geht das auch gar nicht anders – vor allem dann nicht, wenn das Ziel eine Momentaufnahme nicht nur im technischen, sondern vor allem im situativen Sinne sein soll. Diese Momentaufnahme ist allein des Fotografen Werk, er allein ist dafür verantwortlich – allein muß er mit Kritik umgehen, dafür darf er aber auch das Lob allein einstecken. Von der Herstellung bis zur Auseinandersetzung mit den Reaktionen ist er ganz auf sich gestellt. Der Fotograf kennt kein gemeinsames Arbeiten und ist deshalb ein Egoist und mißgünstig; eine etwas simple These, aber auch nicht simpler als die vom positiv sozialisierenden Mannschaftssport.
Wenn ein Fotograf auf seinen Wegen einem anderen Fotografen begegnet, fragt er sich, was der hier zu suchen habe. Meine Gegend, meine Zeit, meine Motive. Der Fotograf kennt kein Unser. Gewiß sieht man aus unterschiedlichsten Gründen hin und wieder zwei oder mehr Fotografen gemeinsam umherstreifen, doch darf man sich davon nicht täuschen lassen. Man geht gemeinsam fotografieren, aber man fotografiert nicht gemeinsam. Nie wird man den Satz hören: »Guck mal, das sieht klasse aus, das könnten wir mal ablichten.« Der Fotograf denkt: »Ach guck mal, das sieht klasse aus, das Bild hole ich mir.« Manchmal denken das alle zwei oder drei anwesenden Fotografen gleichzeitig. Dann werden sie mürrisch und beäugen sich lauernd.
III
Daß der Fotograf seine Ideen für sich behält, hat einen weiteren, vielleicht viel wichtigeren Grund: Sie sind alles was er hat. Ein Foto in unserem Sinne hat keinen eigentlichen Nutzwert, es lebt einzig davon, sehenswert zu sein. Je langweiliger, desto weniger sehenswert, je individueller aber, desto weniger langweilig – je mehr allerdings das gleiche ablichten, desto weniger individuell wiederum. Die eigene Idee weiterzugeben, sie zur Verfügung zu stellen, entwertet sie schon. Wenn der Fotograf nicht ohnehin schon Egoist wäre, würde er spätestens jetzt einer werden. »Das Bild hole ich mir« ist nicht nur Egoismus als solcher. Es ist in diesem Lichte betrachtet eine für den Fotografen notwendige Herangehensweise, wenn er seinem eigenen Anspruch gerecht werden möchte – wenn er individuelle, sehenswerte Momentaufnahmen vorzeigen möchte. Den sehenswerten Augenblick zu finden, ist der Fotograf unterwegs, und wenn er einen gefunden hat, dann möchte er ihn auf seine Weise festhalten, idealerweise nur auf seine Weise, und nicht als eine von mehreren Varianten. Je mehr Bilder eines Augenblicks existieren, desto langweiliger ist jedes einzelne. Ein weiterer Grund, warum die Laune des Fotografen drastisch sinkt, wenn andere Wesen den seinen ähnliche Bilder machen möchten. Oder gar machen. Oder lange vor ihm gemacht haben.
Das alles liegt in der Natur der Sache und ist auch nicht ganz uninteressant. Dennoch müßte man nicht unbedingt so breit davon reden – wenn nicht ein damit völlig unvereinbarer anderer Umstand ebenfalls in der Natur dieser Sache läge.
Fortsetzung folgt ...
(Ganz geiler Cliffhanger eigentlich, oder wie die das nennen. War aber keine Absicht, sondern beruht schlicht darauf, daß vom Rest noch nicht eine einzige Silbe existiert. Das ändert sich. Hoffentlich.)
(Es hat sich geändert. Lesen Sie gerne: Egographie (2) »
Viel Spaß.)