Vorab: Es ist kein schlechtes Buch. »Das Geheimnis der Sarah Canary« ist eine interessante Geschichte, die schön aufgeschrieben ist – und doch müssen wir reden.
Es geht um die kuriose Eigenart der Autorin Karen Joy Fowler (oder der Übersetzerin Uda Strätling)1, das Wort »sagen« sehr hartnäckig immer genau dann zu vermeiden, wenn jemand etwas sagt: Sobald eine Figur sich in wörtlicher Rede ins Geschehen mischt, kann man sicher sein, daß sie vielleicht etwas meint oder findet oder bemerkt oder etwas zu bedenken gibt oder erklärt oder jemandem etwas eröffnet oder sich sonst irgendwie äußert – aber niemals etwas sagt.
Fast niemals. Dies sind die Redebeschreibungen aus den ersten beiden Kapiteln, die unmittelbar eine Äußerung einleiten oder abschließen:
hatte versichert ... (... und hinzugefügt) eröffnete spekulierte fand mahnte befahl mäkelte rief erklärte gab zu bedenken wollte glauben machen sagten beschwichtigte warf ein verriet gab zu bedenken hielt entgegen meinte teilte mit sagte2 versuchte herrschte an drängte flehte an schrie bat wiederholte erklärte schimpfte meinte rief meinte stellte vor bemerkte versuchte zu erklären versicherte meinte |
rief verkündete plapperte nach befahl sagte spottete drohte überlegte sagte beteuerte bemerkte fragte eröffnete erklärte sagte fuhr fort gab zu bedenken erklärte bestätigte fragte meinte fügte hinzu erinnerte versicherte stimmte zu willigte ein begann wandte ein räumte ein sagte meinte verlangte gab zu sagte stimmte zu fragte fragte |
erwiderte bat sinnierte warf vor versicherte rief sagte schärfte ein sagte grüßte fiel ein sagte stellte vor bestätigte teilte mit gab zu fragte ergänzte stellte richtig stellte fest sagte teilte mit bemerkte beteuerte sagte rief teilte mit tönte verkündete sagte meinte versicherte befahl rief raunte eröffnete sagte |
Erschütternd. 111-mal wird gesagt, daß jemand etwas sagt, und ganze 14-mal sagt jemand etwas. Das (also: nichts zu sagen) ist dann in Ordnung, wenn es um die Art der Artikulation geht, also jemand schreit oder flüstert. Nicht in Ordnung ist es in fast allen anderen Fällen. Offenbar glaubt Karen Joy Fowler (oder Uda Strätling), »sagen« sei zu banal und zu einfalls- und phantasielos. Leider stimmt das ungefähr überhaupt nicht. Man hat in einer Geschichte sehr viele Gelegenheiten, Kreativität und Wortschatz auszuloten; an dieser Stelle sollte man es lassen. »Sagen« ist großartig.
Gutes Argument eins
Abgesehen von den erwähnten Artikulationsbeschreibungen (»rief«, »flüsterte«) haben Erläuterungen der wörtlichen Rede nicht zuletzt einen Zweck: deutlich zu machen, wer gerade etwas sagt. Im Verlauf langer Dialoge oder bei zahlreichen Unterbrechungen und Wiederaufnahmen der Rede geht schon mal der Überblick verloren. Das »sagen« dient einfach dazu, den Namen des Sprechers flüssig einzubinden. Je unauffälliger, desto flüssiger. Und unauffällig ist das banale, vertraute »sagen«; man erfaßt es sofort und weiß, wer dran ist; nichts stört den Lesefluß. Unvertraute Synonyme halten auf – und bringen nichts. Außer Ärger.
Gutes Argument zwei
Denn Leser denken. Wenn eine Figur sagt: »Komm' sofort her!«, dann erkennen sie den Imperativ und das Ausrufezeichen und denken bei sich: ein Befehl. Steht da nun weiter: »... befahl Erwin«, dann wundern sie sich, denn sie wußten es schon. Sie ärgern sich, daß der Autor es für nötig hält, ihnen das noch einmal erklären zu müssen. Auch in weniger offensichtlichen Fällen vermittelt sich sehr vieles über die (subtilere) Wortwahl und/oder über den Kontext. Szenen und Bilder und Situationen wirken viel stärker, wenn sie im Kopf entstehen, als wenn sie ständig erklärt werden. So stellt sich schnell der Verdacht ein, der Autor traue seinem eigenen Text nicht – oder den Lesern. Unschön ist beides.
Natürlich kann eine solche Dopplung (eine Art Prosa-Pleonasmus) gelegentlich auch bewußt und als Verstärker eingesetzt sein. Nichts spricht dagegen. Ärgerlich ist sie dann, wenn sie die Regel ist.
Gutes Argument drei
Aber beschreiben viele Verben das Redegeschehen nicht viel plastischer als »sagen« es kann? Machen sie den Text nicht lebendiger – bringen also sehr wohl etwas? Nein, tun sie nicht. Im Gegenteil: Sie sind schwache Zusammenfassungen dessen, was einen Text lebendig macht. Die Faustregel »Lieber beschreiben als benennen« gilt an dieser Stelle wie überall sonst.
»Sie war wütend.« Das ist kurz und klar und treffend – aber nicht annähernd so stark wie eine die Beschreibung einer Frau mit leicht zuckenden Wangen, starrem Blick und die Stuhllehne umklammernden Händen und weißwerdenden Fingerknöcheln.
»... mahnte er.« Das ist kurz und klar und treffend – aber nicht annähernd so stark wie ein simples »sagen« und (zum Beispiel) eine gut beschriebene kleine Geste. Lieber beschreiben als benennen.
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Im Einzelfall, gerade bei Beispielen wie in den Argumenten zwei und drei, kann man natürlich immer diskutieren; vieles ist dann Geschmackssache. Klar ist: Nicht jedes Nicht»sagen« stört den Lesefluß, verkauft die Leser für dumm und raubt dem Text die Atmosphäre. Aber sehr viele eben doch. Je öfter sie auftauchen, desto mehr verstärken sich in ihrer negativen Wirkung gegenseitig; auch ein eigentlich harmloses oder sogar gutes Synonym wirkt inmitten der konstruierten und nervigen dann auch nur noch konstruiert und nervig.
Immer und überall schlecht aber sind »sagen«-Synonyme, die nichts anderes als andere Wörter sind: eröffnen, mitteilen, finden, (sich) erklären, meinen, verkünden, etc. Jedes kann man durch »sagen« ersetzen, und kein einziges Mal würde der Text dadurch schlechter, aber fast jedes einzelne Mal besser.
Daß dem durchaus so ist, zeigen zwei ziemlich willkürlich (!) dem Regal entnommene Beispiele; es wurde einzig darauf geachtet, zwischen anerkannt schreibbegabten Menschen zu wählen. In den ersten beiden Kapiteln von Ian McEwans »Abbitte« wird folgendermaßen wörtlich geredet:
sagte3 rief zu sagte erklärte fragte verkündete4 fragte |
gab klein bei verkündete sagte erwiderte antwortete meinte sagte meinte sagte flötete |
sagte erklärte sagte sagte sagte sagte erwiderte sagte sagte |
Wir sehen: Sehr viel hatte man dort noch nicht zu besprechen, aber wenn, dann »sagte« man im Schnitt fast jedes zweite Mal etwas; insgesamt nicht viel seltener als bei den ungleich häufigeren Gelegenheiten in »Sarah Canary«.
Mehr zu bereden hat man von Beginn an im »Schloß« von Franz Kafka, dessen erstes Kapitel auch wesentlich länger ist als jene in den beiden anderen Büchern, weshalb das zweite nicht mit aufgeführt wird.
sagte sagte sagte fragte fragte sagte fragte sagte rief fragte rief sagte hörte fragen sagte schrie sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte fragte sagte sagte sagte flüsterte sagte sagte sagte sagte sagte |
sagte fragte sagte fragte fragte wiederholte sagte fragte sagte fragte sagte fügte hinzu holte daraus das Recht zu fragen sagte sagte sagte sagte sagte rief sagte sagte fragte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte fragte sagte rief sagte |
sagte sagte rief rief rief schrie hörte sagen sagte fragte sagte sagte wendete ein sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte sagte fragte wiederholte rief rief fragte |
Sagen, sagen, sagen. Auch sehr dicht hintereinander gelegentlich; man sagt etwas, und kaum daß eine neue Zeile begonnen hat, wird schon wieder gesagt. Über Franz Kafka wiederum kann man gewiß vieles sagen – daß er phantasie- und einfallslos, oder einfach ein schlechter Autor gewesen sei, sicher nicht.
Eines aber kann man sehr wohl sagen: Sagen ist gut.
1) Ob das im englischen Original ebenso ist oder eine Idee der Übersetzerin war, lassen wir der Bequemlichkeit halber außen vor, da es für die Angelegenheit als solche ohnehin keine Rolle spielt.
2) nicht im Zusammenhang mit wörtlicher, sondern indirekter Rede in einer Rückblende
3) auch eher indirekte Rede
4) nicht unmittelbar, sondern erst im nächsten Satz