09.08.2007

Leinwandhelden

Nobody will ever notice that. Filmmaking is not about
the tiny details. It's about the big picture.

(»Ed Wood«)


Kino übertreibt immer. Deshalb gehen wir ja hin; für abgefilmten Alltag kauft kein Mensch eine Kinokarte. Auch sehr bodenständige Geschichten leben auf der Leinwand von der Übertreibung; ob dramaturgisch: im Ablauf und Tempo der Ereignisse und im Verhalten der Beteiligten; ob photographisch: in Einstellungen, Farben, Ästhetik.

Weniger bodenständige Geschichten im Kino sind filmgewordene Übertreibung. Sie entführen uns in andere Welten, lassen uns Helden bei der Arbeit zusehen, treiben Bekanntes hochgradig auf die Spitze. So soll es sein. Zurecht wären wir enttäuscht, wenn John McLane, Ethan Hunt oder James Bond schon von einer der ersten zwei Millionen auf sie abgefeuerten Kugeln ernstlich verletzt würden oder sich bei diversen Faustkämpfen und Bodenaufschlägen etwas brächen; wenn die Leute bei Quentin Tarantino Gespräche führten wie die Kollegen im Büro. Wir wollen Tarantino-Dialoge, die nur er schreibt und das Leben niemals.

Ob bodenständig oder in einer Weise, für die »Hollywood« mittlerweile zum Synonym geworden ist: übertrieben wird immer. Wir sehen immer Helden im Kino; gute, schlechte, starke, tragische.

Doch in dies Treiben hinein verirren sich hin und wieder die kleinen, unscheinbaren Übertreibungen. Sie stehen nicht gewollt im Drehbuch, sondern schleichen sich einfach ein; sie schenken uns die kleinen Helden und Heldentaten, die man zunächst gar nicht als solche wahrnimmt. Und doch sind sie oft noch viel wunderbarer als die vorgesehenen – weil sie eben nicht vorgesehen sind. Sie passieren ganz aus Versehen. Und sie sind so sympathisch.

Der Klassiker des Nebenheldentums datiert aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als man Autoszenen zumeist im Studio abdrehte und die Darsteller so tun mußten, als ob sie geschwind übers Lande führen. Dies geschah oft vermittels unübersehbarer Lenkradbewegungen, wie bei Kindern, die Busfahrer spielen, und die eigentlich eklatante Schlingerfahrten mit beinahe sicherem Unfallausgang hätten bewirken müssen – doch nichts geschah! Heldenhafte Fahrkunst. Gediegen führte man das Gespräch im unbeeindruckt dahingleitenden Wagen, entspannt und unversehrt kam man an, und der Fahrer entließ die Beifahrin mit galantem Türöffnen in die Nacht. Meist blieb er nicht und fuhr allein weiter.

Eine weitere Heldentat begeht man ebenfalls während der Autofahrt, und das bis heute. Sie besteht darin, während des intensiven Dialogs mit dem Beifahrer mit hoher Geschwindigkeit durch eine anspruchsvolle Verkehrssituation zu steuern, dabei aber den menschlich und kommunikationspsychologisch so entscheidenden Blickkontakt mit dem Gesprächspartner nicht abzubrechen. Häufig geht es um Großes, da muß ein Blick auf die Straße einfach warten. Und er tut es, sehr geduldig bisweilen, doch auch hier gelangt man in der Regel vollkommen unfallfrei ans Ziel. Fahrkünstlerisch im mindesten ebenso heldenhaft wie im Fall zuvor.

Und dann gibt es die subtilen Großtaten. Übermenschliche Kraftakte des Geistes, verdichtet auf wenige Momente, manchmal auf einen Augenblick. Sie werden am leichtesten übersehen, doch man muß sie würdigen. Haben Sie schon einmal eine Konversation mündlich und aus dem Stand auf Wort und Silbe wiedergegeben? Sich an fremden Rechnern sofort zurechtgefunden? Jahre zurückliegende Ereignisse mit ihren Personen exakt bis auf die Krawattenfarbe beschrieben? Es sind nur aufblitzende Momente, aber sie sind groß. Das Hirn macht den Helden des Augenblicks. So zum Beispiel jüngst den Protagonisten in einer Wiederaufführung eines ernsten Werkes eines nicht immer ernsten Regisseurs:

Er: Bitte. Gib mir Deine Telefonnummer.
Sie: (zögert, dann hastig) Nulldreidreivierachtsiebenzweineun- neunzweifünfeinssechssechsdrei. [gefühlte Ansage]
Er: (sofort) Ich ruf' Dich an. (ab)

Er hat sie erreicht später. Versuchen Sie das mal. Das ist ein Held. Für diesen Augenblick nur. Aber ein Held.

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